Der Mann wendet den Kopf in den wolkenlosen blauen Himmel, lehnt sich gähnend gegen den Baum und schließt eine Zeitlang die Augen. Das Zwitschern der Vögel klingt zunächst noch angenehm und fröhlich, doch immer mehr beginnt es, schrill und feindselig zu werden, wie das gehässige Krächzen der Krähen im Dunland und in Rohan. Einmal mehr beginnen die Bilder vor seinem inneren Auge abzulaufen, die er nicht sehen will – Krieg, ein brennendes Dorf, und inmitten der Ruinen ein lebloser Mann. Elphir schreckt auf, als er aus dem Traum erwacht. Schwer atmend erhebt er sich und geht einen Schritt nach vorne, in die Sonne, deren Wärme er sofort auf der Haut spürt. Das Buch liegt neben dem Baum auf dem Boden, Tintenfass und Feder stehen darauf. Mit langsamen Schritten steigt Elphir zum Fluss hinab, schöpft etwas Wasser heraus und wäscht sich das Gesicht. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck blickt er zurück zu dem Buch. Es ist soweit. Die Geschichte, die ihn bis in den Schlaf verfolgt, will in Worte gefasst werden. Langsam lässt Elphir sich wieder an den Baum sinken, nimmt das Buch zur Hand und beginnt zögerlich zu schreiben.
Kapitel 14 – Rohan
Mit Sorge nahmen wir alle die Gerüchte, die von Krieg in Rohan handelten, wahr. Was wäre, wenn der Krieg von Rohan auf Gondor übergreift? Was, wenn Gondor von Norden und Osten gleichzeitig attackiert werden würde? Es ließ uns keine Ruhe, und so beschlossen Arantion und ich, in den Süden zu reisen – er wollte nach Rohan, mein Weg sollte mich nach Gondor führen. Wir verließen das Breeland nach Westen hin, durchquerten die Einsamen Lande und die Trollhöhen, um schließlich über Eregion und Enedwaith ins Dunland zu gelangen. Bis dorthin verlief die Reise ruhig, Arantion und ich hatten viel Zeit, uns zu unterhalten – nicht nur über den vielleicht drohenden Krieg, auch über andere, viel belanglosere Dinge. Die erste Überraschung erlebten wir in Galtrev, wo wir uns mit neuen Vorräten eindecken wollten – das Dorf war von Halborks der weißen Hand besetzt worden, wir wurden gefangen genommen und weiter hinein gebracht. Während die Kreaturen mich fesselten, zückte Arantion sein Schwert, das er unter dem Sattel versteckt hatte und kümmerte sich um die beiden Halborks neben ihm. Ich für meinen Teil musste mich auf meine Erfahrungen im Faustkampf verlassen, um die Wachen an meiner Seite auszuschalten. Ich drängte Arantion dazu, das Dorf mit den Pferden zu verlassen und außerhalb auf mich zu warten, während ich mit ruhigen Schritten das Versorgungslager des Dorfes suchte. Ich hatte Erfolg, und kurze Zeit später verließ ich das Dorf mit zwei prall gefüllten Säcken auf dem Rücken. So setzten wir unseren Weg fort, doch bei dem Pass, der das Dunland von der Pforte Rohans trennt, folgte die nächste Überraschung. Ein Pfeil bohrte sich in den Sand vor unseren Füßen, ich war mir sicher, dass es sich um einen Orkangriff handeln musste – nur diese Bestien würden zu solch feigen und ehrlosen Methoden greifen. Ich hatte Unrecht. Es handelte sich um eine Frau, noch dazu aus Gondor! Allerdings besaß sie, wie mir der hinterhältige Angriff gezeigt hatte, in etwa so viel Ehrgefühl und Mut wie ein Ork, weshalb ich sie zu Beginn auch für einen Diener des Feindes hielt. Der langen Rede kurzer Sinn ist, dass ich mich von ihr breitschlagen ließ, den Weg nach Gondor zu verlassen, und mit den beiden nach Rohan zu gehen. So überquerten wir die Furten des Isen und ritten nach Helms Klamm, wo wir die nächsten Tage verbrachten. Doch die Zeichen des Krieges waren auf unserem Weg eindeutig – verbrannte Felder und geraubte Dörfer.
So kam es, dass einige Tage nach unserer Ankunft in Helms Klamm eine Gruppe Reiter, vom Kampf gezeichnet, die Festung erreichte. Arlaeg – die Frau, der wir auf unserem Weg begegnet waren – erfuhr, dass sie von einem Dorf ganz in der Nähe kamen, das überfallen worden war, wollte sie sofort losziehen. Auch Arantion war dieser Idee zugetan, nur ich blieb skeptisch. Als die beiden jedoch meinten, sie würden auch ohne mich zu dem Ort des Geschehenen reiten, schloss ich mich an, weniger aus Überzeugung, als aus Pflichtgefühl. Als wir das Dorf erreichten, stand es in Flammen, doch Feinde waren nicht zu sehen. Wir einigten uns darauf, nach Überlebenden zu suchen, und schließlich fanden wir auch einen Keller, in dem sich einige Bauersfamilien versteckt hatten. Gerade als wir diese in Sicherheit gebracht hatten, geschah das unabwendbare – wir wurden entdeckt. In einem kurzen, aber heftigen Kampf fiel zunächst Arantions Ross, danach er selbst. Ich fand ihn mit einem Pfeil durchs Auge geschossen, während nicht allzu weit entfernt bereits die Laute von anrückenden Orks zu hören waren. Er lehnte jedes Angebot ab, ihn mit mir zu nehmen, überredete mich zu fliehen – und ich tat es. Ich ließ ihn im Stich, und bis heute verfolgt mich diese Entscheidung in meine Träume. An dieser Stelle mag es gerecht erscheinen, mich dafür zu verurteilen, doch das sollte nur jemand tun, der dieselbe Lage erlebt und eine andere Entscheidung getroffen hat.
So kehrte ich zurück nach Helms Klamm, verbrachte noch einige Tage dort, und begann meine Rückreise in den Norden. Dennoch sollte ich nach meiner Ankunft dort nicht allzu lange dort bleiben…
Elphir schließt das Buch mit erleichterter Mine, schließlich ist diese Geschichte endlich zu Papier gebracht – vielleicht nicht mit allen Einzelheiten, vielleicht nicht ganz so, wie sie tatsächlich war – aber so, wie er sich daran erinnert. Er klemmt das Buch unter den Arm, Feder und Tinte nimmt er in die Hand und betritt sein Haus.
_________________ Hohe Schiffe, hohe Herrscher, Drei mal drei, Was brachten sie aus versunkenem Land Über das flutende Meer? Sieben Sterne und sieben Steine, Und einen weißen Baum.
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